Wie klingt es und wie sollte es denn überhaupt klingen? - Teil 1 zur Klangbewertung
Guten Morgen in die Runde! 

Da ist man ein paar Tage nicht hier und schon geht die Diskussion munter weiter. Das ist doch erst einmal eine prima Sache, oder? Es gibt einige Themen, die immer wieder aufscheinen und eines möchte ich gerne herausgreifen, weil es meines Erachtens zum Thread-Thema bestens passt: Mikrofonierung. 

Damit fängt jede Aufnahme an (eigentlich nicht ganz, weil zuvor der Aufnahmeraum festgelegt wird; naja: auch die Aufstellung der Musiker ist nicht in Stein gemeißelt und kann sich bei Aufnahmen von der Aufstellung in Live-Situationen deutlich unterscheiden). 

Es wurde - ich habe mir nicht gemerkt, von wem - ins Feld geführt, dass bei klassischen Aufnahmen die Mikrofone von der Decke hängen und damit den Klang anders einfangen als wir es mit den Ohren je machen würden, denn wir hängen bei Konzertbesuchen üblicherweise nicht von der Decke. Der Hauptgrund für die Mikrofone ist, dass man so Trittschall vermeiden kann. Einen Grund für das Abhängen der Besucher wüsste ich jetzt nicht.  Big Grin

Ein Mikrofon hört aber nie wie ein Ohr, auch ein Kunstkopf ist nur eine Näherung. Beides wurde schon im Laufe des Threads diskutiert. Die für uns spannende Frage ist, wieviel Direktschall und wieviel Raumanteil aufgenommen bzw. gemischt wird. Wenn wir im Live-Konzert sitzen, überwiegt - man will es kaum glauben - nicht der Direktschall, außer man sitzt ganz vorne (aber auch da - wurde auch schon angemerkt - gibt es Instrumente, deren Schall eine beträchtliche Strecke bis zu unserem Ohr zurücklegen muss). 

Wir hören heute auf Aufnahmen sehr häufig Klangdetails, die durch eine nahe Mikrofonierung zustande kommen und die man früher vermieden hätte. Z.B. Anblasgeräusche beim Saxophon, den Kopf eines Schlagzeugschlegels auf einem Becken, den Schlag des Hammers der Klaviermechanik auf der Saite, das Bogengeräusch auf der Saite der Geige, das Einatmen eines Sängers, das Anblasgeräusch einer Querflöte... all das zählte früher zum Geräuschhaften und wurde auf Aufnahmen vermieden - der Ton macht die Musik, nicht das Geräusch! Heute ist es so, dass man diese Klangdetails mit einbezieht, weil sie zur Natur des Klangerzeugers zählen. 

Aber: wer hört diese Geräusche im Klangspektrum überhaupt? Eigentlich nur jemand, der genau wie das Mikrofon, sehr nahe am Klangkörper ist. In der Regel ist das der Musiker selbst (auch wenn er es nicht bewusst wahrnimmt) und ggf. jemand, der sich unmittelbar vor dem Instrument befindet (dahinter nicht, weil die meisten Instrumente so gebaut sind, dass sie tendenziell den Klang nach vorne abstrahlen). 

Gerade diese geräuschhaften Details werden in Hifi-Fanzinen hervorgehoben und die realitätsgetreue Abbildung als Maßstab für den Wohlklang einer Anlage herangezogen. Damit wird genau das genossen, was nicht zur Essenz der Musik gehört (wohl aber zum Klangerzeuger). Verglichen mit Wein bedeutet das, dass wir den Geschmack des Korkens versuchen zu erschmecken und dabei nicht mehr auf die Komposition des Weingeschmacks achten. Oder wir schenken dem Glas mehr Beachtung als dem Inhalt. 

Jetzt klingt das Ganze so, dass ich ein Freund von Aufnahmen der alten Klangästhetik wäre. Bin ich gar nicht! Ich freue mich auch, Details herauszuhören. Man höre einen gezupften Kontrabass über eine Anlage und in einer Live-Situation, in der man von dem Instrument weiter weg sitzt. Das sind zwei völlig unterschiedliche Klangeindrücke - die dann näher rücken, wenn der Kontrabass abgenommen und elektrisch verstärkt wird (z.B. in einem Jazz-Club). 

Was wir hören, hängt davon ab, was wir hören können (an unserem Hörplatz im Live-Konzert) oder was wir hören sollen (Aufnahme). Das kann sich grundsätzlich unterscheiden. Bei Aufnahmen haben wir eine andere Realität als bei Live-Konzerten. Sie bietet weniger Varianten der Darbietung als eine Live-Situation, die sich von Hörplatz zu Hörplatz unterscheidet, und sie ist wiederholbar. Das ist erst einmal nicht schlecht und damit kann man arbeiten.
Viele Grüße
Darwin (Thomas)
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RE: Wie klingt es und wie sollte es denn überhaupt klingen? - Teil 1 zur Klangbewertung - von darwin - 22.01.24, 11:52

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