Musikproduktionen - Damals und Heute
#6
Aber natürlich ist die Qualität heute deutlich schlechter als früher. Und das ist nicht ein plötzlich einsetzender sondern war ein schleichender Prozess.

Es gab Zeiten, da entwickelten sich Aufnahme- und Wiedergabetechniken synchron. Ohne einen Fortschritt auf der Einen Seite gab es keine Weiterentwicklung auf der anderen Seite. Auch war die große Kunst die Mikrofonierung - also das Platzieren der Mikros im Raum und die Auswahl des Mikros mit der zum Raum und der Aufnahmesituation passenden Richtcharaketeristik. Viel basierte hier auf den wissenschaftlichen Erkenntnissen z.B. der Reichsrundfunkgesellschaft und deren ersten Stereo-Versuchen ab 1941 und sehr ähnlichen Erkenntnissen, der RCA, der Columbia, der Decca und der EMI. So entstand z.B. der Decca Tree und das unter diesen Pseudonym beschriebene Aufnahmevorgehen  inkl. klaren Anweisungen für die Mikrofonierung war für viele fulminante Klassik-Einspielungen verantwortlich. 

Diese Einspielungen haben Raum, Tiefe, eine klar strukturierte Bühne, Schmelz, fingen alle notwendigen Informationen ein, so dass man auch das Knarzen der Bühnenbretter oder das Rascheln der Kleidung einfangen und wiedergeben konnte. Wir hören ein realistisches Abbild der damaligen Aufnahmesituation und sitzen quasi im damaligen Konzertsaal und können dem damaligen Konzert lauschen.

Selbst davon erstellte Mono-Schallplatten haben Raum mit realistischer Tiefe, Breite und Höhe.

Anfang der Siebziger kam dann die Multimikrofonierung bei der jedes Instrument und jede Stimme ein eigenes Mikro bekam. Eine sehr bekannte frühe multimikrofonierte Aufnahme ist übrigens die Einspielung der La Boheme unter Karajan in der Christus Kirche zu Berlin. 

Räumlichkeit entsteht seither "nur noch" am Mischpult beim Mastering und über die Jahre wurde daraus nur noch die Variation von Phase und Pegel.

In den Achtzigern setzte sich dann bei moderner Musik die Nutzung der Midis durch. Auch wenn diese heute hunderte von Spuren ermöglichen, so sind diese Spuren alle nur Mono und der Toningenieur muss beim Mastering daraus erst ein irgendwie geartetes Stereo erstellen/ kreieren. Auch das passiert heute nur noch durch Pegel und Phase.

In der U-Musik wurde damals ebenfalls viel Aufwand in das Arrangement und die Aufnahme investiert. Der Druck auf die Musiker war deshalb so hoch, weil die Studiotage budgettechnisch begrenzt haben werden müssen. Heute gibt es Software, da müssen sich die Musiker noch nicht mal mehr im Studio treffen sondern können mit dem (zweifelhaften) Heim-Equipment einspielen, die Software lässt dann sogar die Zeitkorrektur zu, so dass z.B. ein im Timing nicht passender Sänger zu dem Spiel des langsamer klampfenden Gitarristen passend gemacht werden kann.

Das was da heute rauskommt hat je Stimme bereits deutlich unterschiedliche Qualität und ist wiederum nur Mono. Es geht nicht nur um die sich ggf. deutlich unterscheidende Ausstattung der Musikerhaushalte sondern auch um technische Fehler in deren SetUp wie Phasendreher, Brumm, Störgeräusche sondern auch noch darum, dass der Musiker ja mit Filtern, Kompressoren und Co. rumspielt um einen bestimmten Sound zu erhaschen, aber nicht bedenkt, welche Auswirkungen das auf die Signalspur und das Signal haben wird. Das machte früher ein gut ausgebildeter Toningenieur. Heute kann der Toningenieur Fehler in diesem Bereich gar nicht mehr ausgleichen sondern er kann nur mit Filtern und Phase und Pegel (auch für die Stereo-Imitation) arbeiten. Die Qualität des Signals leidet also zusätzlich. 

Und wir sind wieder zurück beim lächerlich komischen Ping-Pong-Stereo. Heutigen Einspielungen fehlt die Mitte fast vollständig. Das ist ein Nebeneffekt von ich generiere den Raum mittels Phase und Pegel. Da wir aber durch immer höher werdende Kanaltrennung darauf schon vor Jahren Geeicht wurden - zuerst bei den Radioabteilen in unseren Anlagen, danach durch die CD - fällt das heute Keinem mehr wirklich auf, solange man nicht Altes mit Neuem direkt vergleicht.

Aufgrund der wissenschaftlichen Herangehensweise der Reichsrundfunkgesellschaft, deren Aufzeichnungen und der Aufbereitung durch die AES wissen wir heute aber, dass Stereo mehr als nur Pegel und Phase ist. Für die Information zu Position auf der Bühne und deren Tiefe braucht es die Information aus der Mitte und dem hier genutzten nierenförmig aufzeichnenden Mikros. Heute optimiert man im Mastering für die Wiedergabetechnik des meistverbreiteten Nutzungsverhaltens - Kopfhörer/ Ohrstöpsel und kann gar keine großen Dynamiksprünge mehr abbilden, weil man ja grundsätzlich schon viel Druck und hohen Pegel benötigt, um bei diesen kleinen Gehörgangskrücken sowas wie Bassempfinden herzustellen (aka Loudness-War) und den Kindern die Ohrmuschel und Hörfähigkeit schon im jungen Alter zu versauen.

All das hat nichts mit "die Einspielung und daraus entstandene CD oder Schallplatte können nicht anmachen oder gefallen" zu tun. Musik bewegt auch dann, wenn sie aus einem Küchenradio trällert. Nur hat das heute halt nicht sonderlich viel mit gutem Handwerk und Qualität zu tun sondern nur mit eine Industrie nimmt die Künstler und die Menschheit aus, maximiert den eigenen Gewinn und bedient den Markt optimal. Wenn wir also über Veränderungsfähigkeit reden, dann hat die Musikindustrie hier quasi die Gene der Mafia und nicht die eines deutschen Beamtenapparates. Jede Veränderung im Nutzungsverhalten wird sofort aufgegriffen und entsprechend darauf reagiert.

Vielleicht besteht ja in den Billboard-Magazinen doch ein Zusammenhang zwischen den dort beworbenen und besprochenen einarmigen Banditen und Spielautomaten, den Formatstreiten (Tonband, Cassette), den Charts und der Auswahl, welcher Künstler bei welchem Label einen Vertrag erhalten hat bzw. wird und was das Label damit macht.
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  • Frohwein, tschuklo
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RE: Musikproduktionen - Damals und Heute - von gelöschter_User - 16.05.21, 11:41
RE: Musikproduktionen - Damals und Heute - von gelöschter_User - 17.05.21, 8:42

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