Was macht der Tonabnehmer und was kommt von anderen Anlagenkomponenten?
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Ich würde ganz gerne mal versuchen hier mit den Mythen und diesen immer wieder ausgetauschten Tonabnehmer-Klangbeschreibungen ein wenig aufzuräumen.

In diesem Zusammenhang werden immer wieder Attribute wie Rund, warm, hell, kräftig, seidige Höhen, tiefer Bass, rhythmische Dynamik, eine angeblich vorhandene Tonhöhenmodulationsfähigkeit, eine Fähigkeit Töne ganzheitlich darzustellen, eine Fähigkeit laut und leise zu unterscheiden, eine Fähigkeit um unterschiedliche zeitliche Abfolgen von Tönen sauber darzustellen oder das angebliche ganzheitliche Musikhören gestresst. Doch welches dieser Attribute kommt vom Tonabnehmer und welche von anderen Komponenten? Eben. Die Antwort auf diese Frage wird sicherlich Jeden interessieren, oder?

Damit das nicht zu lang wird, fange ich erst mal mit einem Thema aus der Aufzählung an. Dieses können wir dann ja hier diskutieren und kommen dann in der Folge auf die anderen Aspekte und Themen.

Die Tonhöhe:
Prinzipiell nimmt eine Nadel mit egal welchem Nadelschliff und sonstigen Aufbau in Sachen Nadelträger und Generator immer das auf, was in der Rille vorhanden ist. Das tut sie aber in Abhängigkeit von der Drehgeschwindigkeit und den Geschwindigkeitsabweichungen, welche vom Plattenspielerantrieb verursacht werden. Auf dem Medium Schallplatte ist das dann noch ggf. von der Genauigkeit der Geschwindigkeit des Tonbandes bei Aufnahme und Mastering und der Geschwindigkeit der Schneidmaschine bei Herstellung der Matrize abhängig.

So etwas wie z.B. Tonhöhenmodulationsfähigkeit gibt es begrifflich (und nicht nur in der Technik) übrigens nicht und ist deshalb eher eine Esoterik-Wortschöpfung der HiFi-Szene und aus dem Blätterwald. Eine realistische Darstellung unterschiedlicher Tonhöhen von z.B. zwei Stimmen in einem Duett hat aber mehrere Aspekte, doch keiner davon hat mit der Nadel, deren Schliff oder dem Tonabnehmer zu tun. Spannend also, dass dieses Argument/ dieser Punkt ausgerechnet immer im Zusammenhang mit der angeblichen Überlegenheit der Rundnadel kommt.

Würde z.B. ein erwarteter 400Hz Ton an den Lautsprechern mit 390 Hz (also tiefer als er sein soll) wiedergegeben, dann handelt es sich immer um ein Geschwindigkeitsproblem, welches entweder bereits bei der Aufnahme, beim Mastering oder eben vom Plattenspielermotor/ -antrieb bei der Wiedergabe verursacht wird.

Hat man allerdings ein Problem mit der Darstellung in seinem Hörraum und bemängelt, dass die beiden Stimmen aus diesem Duett sich nicht klar gegeneinander abgrenzen, die Menschen im subjektiven und erhörten Bild (also der Vorstellung vor dem inneren Auge) quasi siamesische Zwillinge ergeben und nicht klar konturiert nebeneinander stehen, dann deutet das eher auf hohe Verzerrungen hin. Diese Verzerrungen können entstehen durch eine verschlissene oder verdreckte Nadel, Tuberolling, Übersteuerung, Konstruktionsfehler in einem Verstärkerzug (Schwingneigung der Schaltung) oder durch den Lautsprecher und den Raum.

Wer ohne Anpassung des Arbeitspunktes in eine Röhrenschaltung z.B. einfach (angebliche) Equivalent-/ Ersatztypen steckt, der verändert damit nicht nur den Frequenzgang und zusätzlich bzw. je nach Schaltung ggf. auch die Schwingneigung der Stufe sondern ggf. auch den Verstärkungsfaktor und damit die Übersteuerungsfestigkeit des Gerätes. Und dabei ist e vollkommen egal an welcher Stelle des Röhrengerätes man die Röhre gegen eine sog. Ersatztype wechselt. Übrigens gilt dies in zwar deutlich engeren Grenzen aber dennoch auch für Röhren gleichen Typs von einem anderen Hersteller, ist hier aber auch direkter von der Schaltungstopologie und -auslegung des Gerätes abhängig.

Auch der Lautsprecher ist hier entscheidend. Jeder Lautsprechertreiber verursacht von sich aus und konstruktionsbedingt Verzerrungen. Im Prinzip und vereinfacht dargestellt entstehen diese dadurch, dass unterschiedlich (hohe) Töne eine andere Membranauslenkung benötigen. Je langsamer aber sich die Membran bewegen kann (weil die Aufhängung diese Bewegung dämpft), desto unsauberer wird der Wechsel von einem Ton zu einem anderen Ton dargestellt. Auf unser Duett aus unserem Beispiel übertragen verschmiert die Szene in der Darstellung und eine der beiden Stimmen erscheint ggf. tonal anders als erwartet (ein Sopran klingt wie ein Mezzosopran). Fälschlich wird das auch oft als Tonhöhenfehler wahrgenommen. Das ist z.B. eines der Grundprobleme eines Breitbänders, wird mit größer (besser: schwerer) werdender Membranfläche ebenfalls größer und ist der maßgebliche Grund dafür, dass Breitbänder immer bzw. zumindest pegelabhängig ein Problem mit Großorchestralem haben. Dort bricht das gesamte Bühnen- und Klangbild dann förmlich zusammen. Also hat auch dieses Phänomen nichts mit dem Nadelschliff oder dem Tonabnehmer an sich zu tun.

Zudem kann es natürlich ebenfalls sein, dass fälschlich auf Tonhöhe als Symptom gedeutet wird, obwohl hier nur einzelne Frequenzbereiche lauter und andere leiser wiedergegeben werden. Klar, kann man hier zuerst vermuten, dass dieser (dann eigentlich verbogene) Frequenzgang allein dem Tonabnehmer zugeordnet werden kann oder gar dem Nadelschliff. Allerdings sieht die technische Wahrheit dahinter doch eher anders aus. Ein Tonabnehmer ist ein Wechselspannungsgenerator und egal um welchen Typ (MI, MM oder MC) es sich hierbei handelt, hat so ein Generator auch ein Resonanzverhalten. Die sog. Hochtonresonanz kann hierbei innerhalb oder außerhalb des Hörspektrums zum liegen kommen und das wird maßgeblich vom gewählten Abschlusswiderstand und der Gesamtkapazität bestimmt. Spielt ein Tonabnehmer also nicht linear und sorgt für die geschilderten Klangverschiebungen, so ist das ein Problem des gewählten Abschlusses und nicht des Tonabnehmers an sich; auch taucht in dieser "Gleichung" der Begriff Nadelschliff gar nicht auf. Das hat also nichts direkt mit dem Tonabnehmer oder dem Nadelschliff zu tun.
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Was macht der Tonabnehmer und was kommt von anderen Anlagenkomponenten? - von gelöschter_User - 04.02.22, 18:33

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