Was macht der Tonabnehmer und was kommt von anderen Anlagenkomponenten?
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(05.02.22, 0:53)höanix schrieb: Das Problem dabei ist das die Antwort bei fast Jedem anders ausfällt und sich auch fast niemand von seiner Meinung abbringen läßt.
Fakten führen nur zu Verwirrung und Verärgerung weil man doch selber genau hört was zu welchen Veränderungen führt.

Ich denke ja eher, dass gerade die von Beschreibungen abweichenden Erlebnisse für den beschriebenen Frust der Ausgangspunkt sind.  Wink  Aber egal, wir sind hier doch "angetreten" - zumindest betonen wir das immer wieder - weil wir anders als aaandere Foren sein wollen. Und dazu gehört ein offene Diskussion technischer Fakten und Zusammenhänge dann für mich einfach dazu. Ich glaube auch, dass wir hier einen Umgangston etabliert haben, der es dann auch Jedem ermöglicht seine Fragen zu stellen und gleichzeitig Missverständnisse oder andere Sichtweisen offen zu besprechen.

Ich mache also mal weiter im Text und wende mich den Aspekten einer angeblich vorhandenen (1) Fähigkeit Töne ganzheitlich darzustellen, eine (2) Fähigkeit laut und leise zu unterscheiden, eine (3) Fähigkeit um unterschiedliche zeitliche Abfolgen von Tönen sauber darzustellen oder dem sogenannten (4) ganzheitliche Musikhören zu:

Die Musikwissenschaft kennt diese Begrifflichkeiten oder gar Definitionen nicht, die Akustik übrigens auch nicht. Also müssen wir zuerst versuchen zu verstehen, was damit gemeint ist. Jeder von uns ist ja nu schon lange genug dabei, so dass wir wissen in welchen Zusammenhängen diese Punkte angesprochen werden. Das ist einerseits bei der Favorisierung ganz bestimmter Laufwerkseinheiten und im Umfeld von Röhrenverstärkern mit mehrheitlich Breitbänderkonstruktionen längst vergangener Tage. Mitunter werden diese Aspekte auch dann als Argument für die Rundnadel genutzt. 

(1) und (3) zum Beispiel scheinen übrigens auf den selben Aspekt und diesen von beiden Seiten der Medaille betrachtet hinzuweisen. Man spiel also quasi in der subjektiven Empfindung eines Musikstückes vor dem inneren Auge die zeitliche Abfolge den Bewegungsablauf z.B. eines Bassisten nach, sieht dort einen Moment in dem dieser die Saite berührt, anzupft, die Saite das Schwingen beginnt, der riesige Resonanzkörper eines Kontrabasses sich ebenfalls in Schwingung versetzt, der Ton im Inneren dieses riesigen Korpus am Stimmstock vorbei durch die f-Löcher in die Atmosphäre gleitet, den Raum erfüllt, langsam durch den viktorianischen Äther zum eigenen Ohr tänzelt, dabei langsam lauter wird und sobald er das Ohr erreicht hat, im Raum so langsam und schick ausklingt, dass es eine Wohltat für die eigenen Sinne ist.

Tja, diese quasi shakespiereske Vorstellung ist ja ganz nett, existiert so in der Wirklichkeit aber leider nicht. Vor Allem aber hat das nichts mit dem Tonabnehmer, dem Nadelschliff, der Schallplatte oder der Phonostufe und dem Abschluss des Tonabnehmers zu tun.

Dennoch und hier gebe ich einem ganz kleinen Teil der Argumente recht, sollte das Anreissen oder anzupfen einer Saite sehr wohl ein Geräusch hinterlassen. Allerdings darf man das nicht überbewerten, denn in der Realität und einem Konzertsaal wird man das auch nicht außerhalb des Konzertgrabens hören und fragt man mal einen Musiker, ob er dieses Geräusch von seinem Orchesterkollegen rechts oder links während das gesamte Orchester spielt noch hören kann, dann wird der Kollege uns mit staunenden Augen ansehen und den Kopf schütteln. Für unsere Hörposition daheim heißt das dann wohl dass das am Hörplatz so laut wie das Magengrummeln der afrikanischen Matabele in 500 Meter Entfernung sein wird und damit ist das dann eher viel Lärm um Nichts.

In der Wiedergabe daheim wirken dagegen eh nur die Gesetze der Akustik und hier sind Aspekte wie Nachhall, Echo und Halligkeit als Produkte der Reflexion von Schall an z.B. Wänden oder Möbeln oder der Effekt stehender Wellen bedingt durch parallele Wände mit wenig Dämpfung die wichtigen und richtigen Parameter, die es zu betrachten gilt. Wenn also subjektiv der Eindruck entsteht, dass hier Details der Musik fehlen, dann ist das von der Akustik verursacht und nicht vom Tonabnehmer.

Allerdings möchte ich auch nicht unterschlagen, dass es hier noch andere Aspekte gibt, welche ähnliche Effekte haben und somit auch den Eindruck vermitteln können, eine Rundnadel sei in dieser speziellen Situation im Vorteil. 

Einerseits sind alle zeitlich orientierten Komponenten wie z.B. Rhythmus und Räumlichkeit vom Gleichlauf des Plattenspielers abhängig. Je stabiler der Gleichlauf desto höher wird auch die Abbildungsschärfe in der Wiedergabe. Dies hat also direkte Auswirkungen auf die Kontur der dargestellten Instrumente, deren Klangfarbe, deren Abgrenzung gegeneinander und damit auch sehr deutlich auf die räumliche Darstellung. Ebenso greift hier der sog. Fremdspannungsabstand des Plattenspielers ebenso hinein und dieser ist abhängig von der Gesamtkonstruktion, wobei das Tellerlager, der Teller, der Antrieb und der Tonarm entscheidenden Beitrag leisten. Hat man einen geringen Fremdspannungsabstand bzw. einen hohen Rumpelanteil, dann werden Teile der aus der Rille aufgenommenen Information mit dem Rumpelstörsignal überlagert und es fehlt an Details sowie letztendlich an Abbildungsschärfe und Räumlichkeit und ist damit ähnlich zu bewerten wie das Thema Gleichlauf. Insofern deuten also diese "Argumente" bei Verwendung eines Plattenspielers zudem eher auf den Gleichlauf und ggf. Rumpeln als auf den Tonabnehmer.

Andererseits und hier müssen wir den Betrachtungswinkel einmal ändern kann es auch beim Lautsprecher technische Abhängigkeiten geben, welche dazu führen, dass dieser mit zu viel Information auf der Rille überfordert ist. Nutzt man z.B. einen Breibänder, dann kann die Membran nicht gleichzeitig zwei unterschiedliche Töne sauber voneinander separiert wiedergeben. Das ist sogar abhängig von der Membranaufhängung und dem Membrangewicht. Je härter die Aufhängung und je schwerer die Membran, desto unbeweglicher ist die Membran nun mal und desto schwieriger wird nicht nur tiefe Töne an sich darzustellen sondern auch wegen der vorhandenen Rückstellkräfte und der Massenträgheit schnelle Abfolgen von unterschiedlich weiten Auslenkungen zu bewerkstelligen. Unterm Strich verschmiert dann diese Tonabfolge und es entsteht nicht nur der Eindruck, dass die Instrumente sich nicht voneinander abgrenzen/ unterschieden sondern das ganze Abbild leidet darunter. Dieser Effekt wird übrigens mit höherer Lautstärke und damit größer werdender Auslenkung der Membran sowie einer Zunahme der darzustellenden Instrumente immer deutlicher. Deshalb haben Breitbänder auch immer ein Problem mit der Darstellung von Großorchestralem bei höheren Lautstärken und Tuttis.

Nutzt man nun eine Nadelform, welche aufgrund Ihrer Form und Größe weniger Kontakt zur Rillenflanke hat und somit weniger Details aufnimmt, dann "entlastet" man quasi die dargestellte "Problem-Situation" am Breitbänder und das gehörte Endergebnis ist weniger verschmiert. Es ist also durchaus nachvollziehbar, weshalb unter gewissen Rahmenbedingungen eine Rundnadel als favorisiert angenommen wird, allerdings ist man bei dieser Einschätzung am Symptom gelandet und nicht bei der Ursache, weshalb diese Bewertung keine Allgemeingültigkeit und für andere Wiedergabesituationen keine echte Bewandtnis hat.

Auch (2) und (4), obwohl auf den ersten Blick sehr deutlich unterschiedliche Aspekte, gehören eigentlich zusammen. Hier geht es bei (2) um die Betrachtung wie gut das gehörte den Gesamteindruck vermitteln kann und wie sehr man beim Zuhören in die Musik quasi eintauchen kann. Da spielen also auch die Aspekte der Bühnenaufteilung bzw. wo steht dort wer auf der virtuellen Bühne, wie grenzen sich diese gegeneinander ab, haben z.B. deren Münder bei etwa gleich großen Menschen gleiche gefühlte Höhe oder Größe und spricht mich die rhythmische Darstellung auch so wie erwartet an.

Auch hier deutet viel eher in Richtung Gleichlauf und Rumpeln als auf den Tonabnehmer und die Erklärung ist oben bereits gegeben. Aber es geht auch um die empfundene Lautheit und speziell den Unterschied in der Lautheit von Stimmen und Instrumenten. Auf der Schallplatte ist das quasi vom sog. Dynamikumfang - also der Abstand von lautestem zu leisestem Pegel - vorgegeben. Das nimmt der Tonabnehmer unabhängig von Nadelschliff oder Konstruktion auf und diese Pegelunterschiede werden in idealen und exakt linear arbeitenden Verstärkerzügen auch immer gleich viel verstärkt. Ändert sich hier also auf dem Weg vom Medium bis zu den Lautsprechern der Pegel bzw. dieser Pegelunterschied, dann ist dies dem Frequenzgangverhalten der Anlage geschuldet und die Anlage bietet keinen linearen Frequenzgangverlauf an. Das kann einerseits durch falschen Abschluss des Tonabnehmers und der jedem Tonabnehmer eigenen Hochtonresonanz, welche dann im Hörspektrum liegt geschuldet sein oder das Problem wird von der Entzerrungskurve in der Phonostufe, deren Ausgangsstufe, dem Vorverstärker oder der Endstufe verursacht. Also auch hier ist es nicht direkt der Tonabnehmer.

Gleichzeitig kommt hier auch wieder das Thema Lautsprecher zum tragen und zwar in zwei Dimensionen. In er ersten geht es um dessen Frequenzgangverlauf und das verhält sich genau so wie bei den Verstärkerzügen und wir haben erneut das Thema Breitbänder und deren Schwäche komplexe Tonfolgen sauber darzustellen. Also auch hier kommt in der technischen Erklärung des Phänomens der Tonabnehmer eigentlich gar nicht vor.
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RE: Was macht der Tonabnehmer und was kommt von anderen Anlagenkomponenten? - von gelöschter_User - 05.02.22, 13:33

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