Smersh, OSS117, Largo Winch sowie 6Ж9П + 6C3П-EB = Ampearl RE-2030 - LCR-Phono
#1
So eine Phonostufe muß ja doch immer etwas mehr können als nur ein wenig verstärken. Wink  Da ist einerseits die Entzerrung, dann die Anpassung an den Tonabnehmer und zudem sehr viel Voodoo, Märchen und Angedichtetes, wenn man insbesondere in diverse Foren und den Blätterwald schielt.

Die Entzerrung an sich kann aktiv über Gegenkopplung oder passiv zwischen zwei Verstärkerstufen ausgeführt sein, doch egal wie man es dreht und wendet und wenn man nur die Technik betrachtet, dann ist bei beiden Ansätzen in der Praxis immer das Problem, daß die Impedanz über den gesamten Frequenzbereich nicht konstant ist und sich so ein Entzerrer-Netzwerk deshalb nicht einheitlich verhält. 

Dafür gibt es einen technischen Ausweg und der heißt (simplifiziert dargestellt) induktive Entzerrung als LR oder LCR und niederohmige Beschaltung des LR oder LCR Netzwerks. 

Der Vorschlag und somit Ausweg aus dem Blätterwald und den Foren schlägt eher vor, wilde Kombinatorik zu betrieben und vor Allem Einspielen, Einspielen und Einspielen, bis sich das eigene Ohr auch an den hoffnungslos verbogenen Frequenzgang gewöhnt hat. Oder es sind die Kabel, welche dann nach 500h Einspielzeit ebenfalls das Hirn entprechend überlisten. Oder es sind ganz besonders weiche Untersetzter, welche dann unter das Gerät geklemmt oder als Gummi- oder Metallring über den Glaskorpus gestülpt auch nur über die Mikrofonieempfindlichkeit der Röhre hinwegtäuschen und lustig am Sympthom, nicht aber an der Ursache rumdoktern. Man kann sich das Ganze aber natürlich auch viel einfacher nur schönreden. Das ist übrigens die ausschließlich technische Sicht auf das Thema und die klangliche Bewertung muß jeder für sich selbst erleben.

Ich suche also immer mal wieder und wie so ein kleines Trüffelschwein - da kommt der Hardcore DIYler durch - nach Schaltungskonzepten zu Phonostufen und insbesondere auch nach LR und LCR Konzepten; nicht um zu kopieren sondern um zu sehen, wie das Thema von Anderen angegangen wird und um mich informiert zu halten.

Während ich also nach Diesem und Jenem im Internet so stöberte finde ich Hinweise auf mehrere kommerziell hergestellte LR- und LCR-Phono-Stufen (z.B. vdH The Grail, Silvercore One und Silvercore Two, die Silvercore Sachen kenne ich allerdings schon aus verschiedenen Veranstaltungen) sowie eine kurze Mitteilung über mehrere RIAA-Variationen von russischen DIYlern und auch Solche, mit LCR Entzerrung. Genauer gesagt fand ich einige Anwendungen, welche auf die 6Ж9П-Hochfrequenz-Pentode und eine 6C3П-EB-Hochfrequenz-Triodenröhre mit niedrigem Rauschpegel zurückgreifen und das in der für westlich geprägte Augen eher verborgenen russischen Forenwelt.

Wenn es um Erfindungen aus der alten Sowjetzeit geht, fühlt man sich fast wie in einem Agententhriller. Ohne einen Übersetzer steckt man fest, für westliche Augen ist wenig bis gar nichts lesbar, auch auf den zweiten Blick bleibt viel verborgen, vom FSB fühlt man sich beobachtet und insgesamt erscheint man vielliecht etwas weniger erfolgreich als damals 007 - ok, man kommt sich eh eher wie eine Kopie von OSS117 vor oder kann vielleicht gerade noch mit Largo Winch Schritt halten und so cool bekommt man das Schlürfen eines gerührten Martini auch nicht immer hin. Trotzdem kann es Spaß machen, den Google Übersetzer zu verwenden und mit viel Mühe zu rekonstruieren, was in russischen Foren gepostet wird und diese Bruchstücke dann über die dort veröffentlichten Schaltpläne doch noch irgendwie nachvollziehen zu können. Jüngere unter uns könnten sich auch an die Geschichten der Drei Fragezeichen erinnert fühlen.

Alle Hinweise auf ein Pentoden-Trioden-Setup mit LCR-Entzerrung haben dabei auf Jewgeni Karpow aus Odessa verwiesen und die weitere Recherche dann auf Андрей Корчик aus Simferopol zusammenzulaufen, wobei Jewgeni die Schaltung entwarf und Andrey diese zumindest halbprofessionell aufbaut und verkauft.

Um es kurz zu machen: Die Abenteuer gingen ähnlich zufällig weiter, wie die Suche nach Schaltbildern und Schaltungsideen mit diesen russischen Röhren bereits vom Zufall begleitet war.

Für ca. 600 € zzgl. Versand und Steuern erhält man bei Андрей (=Andrey) eine LCR-Phono mit 6Ж9П und 6C3П-EB im Signalpfad und 6С19П & 6Ц4П-EB im Netzteilbereich, gepaart mit Drosseln, Leiterplatten und Transformatoren, die ebenfalls von Andrey handgefertigt werden, Komponenten, welche in russischen Lagerhäusern und militärischen Einrichtungen nach langer und geheimer Lagerung doch noch gefunden wurden, gemischt mit einigen modernen westlichen Bauteilen höheren Standards. 

Die Gehäuse werden irgendwo in der Tiefe Russlands hergestellt, Andrey lötet die Komponenten in Simferopol auf der von Russland unrechtmäßig okkupierten Krim. Der Versand aber erfolgt aus Krasnodar, nachdem Andrey die von Russland erbaute Brücke über die die Straße von Kertsch genannte Schwarzmeer-Enge in Richtung georgische und russische Halbinsel überquert hat. 

Von dort führt der Versand dann zuerst nach Moskau, wo der KGB oder Smersh etwa zwei Wochen lang beleuchten, welche Produkte an westliche Länder verkauft werden. Soweit ich weiß, fügen Sie zumindest den Menschen, welche heute Waren in westliche Länder exportieren keinen echten körperlichen Schaden mehr zu, aber anscheinend wollen sie dennoch ihren "gerechten" Anteil vom Verkaufserlös. Ob es in diesem Moskauer Büro auch einen Musikliebhaber gibt, der die Phono vor dem Export zuerst noch ausgiebig genießen will, ist nicht überliefert. Aber wer weiß das schon?

Andrey ist jetzt auch nicht unbedingt ein Kommunikations-Profi und Englisch kommt bei Ihm wie bei uns das Russische aus Babblefish oder dem Google Übersetzer; alle erdenklichen Mißverständnisse sind also von Haus aus auch im Preis und dem Abenteuer gleich inbegriffen. Denkt man an den FSB, dann ist das vielleicht auch gut so, denn Denen wird es nicht unbedingt anders ergehen, wenn die an Raketenleitsysteme denken und wir von Phonosektionen schwatzen.

Klingt seltsam, braucht Zeit und verlangt irgendwie auch (sehr) geduldig zu sein, klappt am Ende dann aber doch.

Knapp 4 Monate nach der Bestellung und Zahlung habe ich meine eigentlich ukrainische LCR-Phono dann endlich bekommen und was soll ich sagen? Sie klingt wirklich mehr als OK.

   

Was man hier am offenen Gerät sieht, sind die Stromquellen und Längsregler der einzelnen Stufen (die Transen mit den Kühlkörpern) und den flachen schwarzen Kasten gibt es je Kanal einmal; dieser beinhaltet/ versteckt die Drosseln der LCR-Entzerrung.

P.S.: 
Das mehr als OK muß ich vielleicht etwas präzisieren. Wer ab €750 bis ungefähr €7,5k in eine Phonostufe stecken will, sollte sich zuerst eine RE-2030 vorspielen lassen - und das meine ich vollkommen ernst. Mit der RE-2030 vergleichbare kommerzielle Produkte wären z.B. die vdH The Grail, die Allnic Modelle H-1500, Remton LCR MKII, Silvercore One oder Two. Meine DIY 8233/ E55L LCR, eine D3a LCR oder eine EC8020 LCR von Thomas Mayer (Vinylsavor) würde ich trotzdem noch daneben stellen und mit viel Freude auch noch etwas häufiger als die RE-2030 spielen lassen - da reden wir aber über eine nochmals ganz andere Preisklasse. 

P.P.S.:
Mein Eindruck zur RE-2030 ist seit über einem Jahr auch immer gleich geblieben; da gab es also kein Einspielgejammere oder -gejaule, kein Rumprobieren mit der Kabelage, kein Hadern mit den Stellfüßen oder mikrophonischen Röhren und auch keine Fragezeichen, wenn es um den kapazitiven Abschluß über das im inneren versteckte Mäuseklavier geht. Einzig der Umschalter zwischen den beiden MM-Eingängen auf der Rückseite ist gewöhnungsbedürftig (den würde ich mir vorne wünschen), dafür schaltet man den MM-Eingang fortschrittlich über Relais. Und wenn wir schon über Ergonomie sprechen, dann gehört das Mäuseklavier auch von außen bedienbar gemacht; sprich durch einen Drehschalter an der Front oder am Heck ersetzt (Gerät dafür aufschrauben müssen ist na ja).
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#2
Mein Eindruck zur RE-2030 hat sich übrigens nicht verändert; das Teil produziert keine 1000 Stunden Einspielgejammere, braucht kein Rumprobieren mit der Kabelage, erzeugt kein Hadern mit den Stellfüßen, denn die Röhren sind nicht mikrophonisch. Es gibt auch keine Fragezeichen, wenn es um den kapazitiven Abschluß über das im Inneren versteckte Mäuseklavier geht. Sie muß auch nicht ständig am Netz nuckeln, denn nach 10 Minuten sind die Röhren warm und sie scheint in voller Pracht. Sie braucht auch keine durch japanische Jungfrauenhände gegangene Netzkabel.

Die Verstärkung ist mit 46.5 dB genau richtig. Keine Verzerrungen bei lauteren Tonabnehmern, keine erkennbaren Peaks im Frequenzgang, die bei großen Dynamiksprüngen dann zu nervendem Hochtongebahren führen könnten. Die RE-2030 ist wirklich gut.

Es gibt aber auch kleine Nachteile Tongue : Sie ist nichts für Gerätestöpsler sondern braucht schon eine erfahrene Hand, die auch erkennen und subsummieren kann weshalb nun welcher Effekt eintritt. Insbesondere weil eben durch das LCR-Netzwerk in der RIAA der sonst übliche kleine Phasensalat der R-C-Entzerrung ausbleibt, bekommt man die volle Dröhnung dessen, was auch auf der Schallplatte drauf ist. Da werden übersteuerte Höhen auch zu übersteuerten Höhen, ein verschmierter Bass zu einem auch verschmierten und eben nicht zu in HiFi-Zirkeln so gern gehörtem federnden Bass. Tube Roller haben ebenfalls keine Zukunft mit Ihr. Die russischen Pentoden sind gut, Ersatzröhren sind billig. Der RE-2030 ist zudem vollkommen wurscht, welches Netzkabel gesteckt ist. Das macht sie also auch nicht zu einem Prestige-Objekt für die Garde der HiFi-Angeber und -Schwätzer.

Das ist ein Gerät für Diejenigen, die einfach nur kaufen, hinstellen, anschließen und Freude haben und sich nur auf die Musik konzentrieren wollen. Mir bereitet sie viel Spaß.
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